Die Stellungnahme des Internationalen Roerich-Zentrums
zum Buch von Ernst von Waldenfels „Nikolai Roerich – Kunst, Macht und
Okkultismus“
Nikolai
Roerich war ein großer russischer Maler, Gelehrter, Denker und
Persönlichkeit des öffentlichen Lebens. Er gehört zur der Reihe
von den hervorragendsten Kulturschaffenden Russlands, auf die seine Heimat mit
Recht stolz ist.
Der
Beitrag Roerichs zur Kultur nicht nur Russlands, sondern auch der ganzen Welt
ist kaum zu unterschätzen. Seine schöpferischen Errungenschaften und
Ideen auf den Gebieten der Kunst, der Wissenschaft und des Friedensschutzes
haben bei den aufgeklärten Geistern des 20. Jahrhunderts eine lebendige Resonanz
gefunden. Die Liste der Publikationen, die der Forschung des Lebens und des
Schaffens Nikolai Roerichs gewidmet sind, ist riesig.
Das
Buch von Ernst von Waldenfels „Nikolai Roerich – Kunst, Macht und Okkultismus“
(Osburg Verlag, 2011), das auf den Status einer objektiven Biographie Roerichs
Anspruch erhebt, ist ein Versuch eines Unwissenden mithilfe der Verleumdungen
und Erfindungen Nikolai Roerich im falschen Licht darzustellen: als einen
mittelmäßigen Maler und einen kläglichen Intriganten und
Hochstapler, der um des Ruhmes, der Macht und des Geldes Willen bereit war, die
Menschen zu manipulieren und mit den sowjetischen Geheimdiensten zusammenzuarbeiten.
Diese
Behauptungen des Autors sind beweislos und werden nur durch die Hinweise auf
die Werke ähnlicher Art von solchen fahrlässigen Autoren wie O.
Schischkin, V. Rossow und A. Andreev, und Zitate daraus, untermauert. Sie
lassen sich völlig widerlegen durch
die Äußerungen über Nikolai Roerich von seinen hervorragenden
Zeitgenossen, unter denen solche bekannten Persönlichkeiten sind: der
weltweit bekannte Schriftsteller Leo Tolstoj, der russische Dichter Alexander
Blok, der berühmte Sammler und Mäzen, der Gründer der
berühmten Gemäldegalerie Pawel Tretjakow, Kunsthistoriker und
Kritiker Wladimir Stassow, Dichter-Symbolist Jurgis Baltruschajtis, der
hervorragende Denker und Staatsmann Indiens Jawaharlalal Nehru und viele
andere. Die Forschungen der modernen Autoren wie Pawel Belikow und Lyudmila
Schaposchnikowa, die mit der Familie Roerich zusammenarbeiteten und den
Maßstab der Persönlichkeit Nikolai Roerichs unmittelbar erfahren konnten,
können auch als Widerlegung der Behauptungen solcher Art dienen.
Ebenso
unwissend behandelt Herr Waldenfels das philosophische Erbe der Roerichs.
Unfähig es weder zu verstehen noch zu begreifen, was er selbst in seinem
Buch gesteht, bezeichnet er Agni-Yoga
(die Lebendige Ethik) als „eine mystische Lehre“, während sie in
Wirklichkeit ein neues philosophisches System darstellt und beim Prozess der
Bildung einer neuen kosmischen Weltanschauung in Russland nicht mehr
wegzudenken ist. Diese Weltanschauung kommt besonders stark zur Geltung in den
Werken der russischen Philosophen wie V. Solowjew, P. Florenski, S. Bulgakow,
N. Berdjajew, I. Iljin und solcher Gelehrten wie W.Wernadski, K.Ziolkowski und
A. Tschischewski. Die Lebendige Ethik wird nicht durch den religiösen Kult,
sondern durch die Wissenschaft realisiert; ihre Ideen werden durch eine
bewusste und wissenschaftlich durchdachte Ethik ins Leben umgesetzt.
Man
muss die Methoden von Waldenfels, die er beim Schreiben einer Biographie
Nikolai Roerichs verwendet hat, ins Visier nehmen. Darunter ist eine Methode
vorhanden, bei der die erdachten Tatsachen als Wahrheit aufgetischt und die
wahren Fakten im Gegenteil verschwiegen werden. Zum Beispiel schreibt der Autor
(Teil 6, Kapitel 2, s. 267), dass die Expedition Roerichs die Routen der
vorherigen Expeditionen wiederholt habe. Währenddessen ist es wohl
bekannt, dass es gerade die zentralasiatische Expedition Roerichs war, die als
erste den westlichen Himalaya vom Süden nach Norden und das Hochland von
Tibet vom Norden nach Süden durchquerte, den Weg durch Trans-Himalaya und
Himalaya zurücklegte und Indien erreichte.
Weiter
schreibt er, die zentralasiatische Expedition habe eigentlich nichts Neues
entdeckt, obwohl es allen wahrhaften Forschern wohlbekannt ist, dass die Expedition
Roerichs zahlreiche wissenschaftliche (ethnographische, folkloristische und
linguistische) Materialien gesammelt hat; es wurden viele archäologische
Denkmäler entdeckt und untersucht; die Landkarte dieser Region wurde
präzisiert und durch Dutzende neue Namen der Berggipfel und Pässe
bereichert. Diese größte wissenschaftliche Expedition des 20.
Jahrhunderts hat unser Wissen und Verständnis der großen
orientalischen Kultur beträchtlich erweitert.
Zu
den erdachten Tatsachen zählt auch die Behauptung von Waldenfels, N.
Roerich sei ein Agent der sowjetischen Geheimdienste gewesen, mit denen er
Abkommen geschlossen und ihre Aufträge erfüllt habe. Hier wiederholt
er die Erfindungen von O. Schischkin, die Tatsache ignorierend, dass das
Twerskoj Munizipalgericht Moskaus bereits 1996 aufgrund der Klage des
Internationalen Roerich-Zentrums die von Schischkin in der Zeitung „Segodnja“
(Heute) veröffentlichte Information, Nikolai Roerich sei ein sowjetischer
Geheimagent gewesen und habe die Macht in Tibet militärisch zu ergreifen
versucht, als der Wirklichkeit nicht entsprechend und die Ehre und Würde
Nikolai Roerichs und der Mitglieder seiner Familie verletzend erklärt hat.
Es
sei gesagt, dass das Archiv des Internationalen Roerich-Zentrums über die
Dokumente verfügt, die eindeutig davon zeugen, dass N. Roerich nie als ein
Mitarbeiter der sowjetischen Geheimdienste agierte, sowie davon, dass diese
Dienste während der zentralasiatischen Expedition ihn und seine Familie
beschatteten, über ihn berichteten und seiner Arbeit im Wege standen. Beim
Schreiben seines Buches ignorierte Waldenfels diese Tatsachen und entsprechende
Dokumente.
Der
Autor des Buches bezieht sich auf die Erinnerungen von Esther Lichtman und
Louis Horsch, die Nikolai Roerich noch zu seinen Lebzeiten beraubt und verraten
haben, und präsentiert ihre Erinnerungen als unbestreitbare Tatsachen,
während ein objektiver Forscher die Erinnerungen der offenbaren Gegner
seiner Hauptfigur kritisch betrachten sollte.
Die
Methoden von Waldenfels kennzeichnen sich nicht nur durch die Vortäuschung
der Tatsachen, Ausreißen der Zitate aus dem Kontext und Suggestion des
Sinnes, der in der Originalquelle nicht vorhanden ist. Sie kennzeichnen sich
auch durch die fehlenden Klarheit und Überschaubarkeit der Struktur: der
Leser bekommt keine klare Information über die Ereignisse im Leben und
Schaffen Nikolai Roerichs; es fehlt am Hintergrund dieser Ereignisse und der
schöpferischen Umgebung, in der er als Maler, Gelehrter, Denker, Reisender
in Russland, Europa, den USA und Indien agierte.
Gerade
diese Verschwommenheit des Stils erlaubt dem Autor, mit seinen Methoden zu
jonglieren, so dass der Leser den Text nicht eindeutig bewerten und sich in der
Bedeutung der vom Autor verwendeten Quellen nicht orientieren kann. Aus diesem
Buch kann man kaum über die wirklich bedeutenden Ereignisse im Leben und
Schaffen des großen Vertreters der russischen Kultur und seinen riesigen
Beitrag zur Kultur des 20. Jahrhundert erfahren.
Es
lässt sich noch Folgendes sagen. Die Art und Weise, wie der Autor
über Shambhala – das mächtigste Bild in der Kultur des Orients, das
die Vorstellung über die Vollkommenheit, Gerechtigkeit und Weisheit auf
der Erde verkörpert – schreibt, ist völlig unzulässig. Solch
eine Einstellung zur Kultur anderer Völker ist nur von dem Menschen zu
erwarten, dem die Kultur selbst ganz fremd ist.
Zum
Schluss kann man sagen, dass das Buch von Ernst von Waldenfels nicht die
Anforderungen erfüllt, die an die biographischen Werke gestellt werden. Außerdem
enthält es Verleumdungen und Erfindungen, die beleidigend für
diejenigen sind, die die Kultur, darunter auch die russische Kultur, die
russische Kunst, die russischen Philosophie und Wissenschaft, mögen.
Es
ist traurig festzustellen, dass die Präsentation dieses in der Presse schon
angepriesenen Buches ausgerechnet im Vorfeld von den Tagen der russischen
Kultur in Deutschland „Russischer Frühling 2012“ stattfindet.
L.V. Schaposchnikowa
Erste Vize-Präsidentin des Internationalen
Roerich-Zentrums
Vorstandsmitglied des Internationalen
Roerich-Zentrums
Generaldirektorin des N.K. Roerich Museums, Moskau
Verdiente Kulturschaffende der Russischen Föderation
Trägerin des Internationalen
Jawaharlal-Nehru-Preises
Trägerin des EU-Preises „EUROPA NOSTRA“